In der hinduistischen Mythologie begegnen wir immer wieder Erzählungen, in denen das Gleichgewicht der Welt ins Wanken gerät. Dämonen, die Maßlosigkeit und Zerstörung verkörpern, bedrohen die Ordnung, und die Götter wenden sich hilfesuchend an höhere Kräfte. Eine dieser Geschichten führt uns zu Parvati – und zu ihrer furchtbaren Erscheinung Chamundā.
Parvati ist in den Schriften vor allem als die Sanfte bekannt: als Tochter des Berges, Gemahlin Shivas, als Quelle von Liebe, Hingabe und Geborgenheit. Sie ist die Kraft, die Shiva aus der Askese zurück in die Welt holt, die Wärme schenkt und Leben nährt. Doch in Parvati ruht auch eine andere Dimension – eine wilde, ungezähmte und schreckliche Kraft.
Parvati als Chamundā – Die wilde Seite der Göttin
Als die Dämonen Chanda und Munda geboren werden, breitet sich Finsternis aus. Sie stehen nicht nur für Tyrannei, sondern für maßlose Gier, die alles Leben verzehrt. Felder verdorren, Flüsse werden trüb, Menschen und selbst die Götter zittern vor ihnen. Nichts kann sie aufhalten. In ihrer Verzweiflung bitten die Himmlischen Parvati um Hilfe.
Die Göttin schweigt. Sie weiß: Sanftheit und Mitgefühl genügen hier nicht. Und so tritt aus der Mitte ihres Wesens eine andere Gestalt hervor – dürr wie ein Gerippe, schwarz wie Nacht, mit wirrem Haar und Augen, die wie Feuer glühen. Ihr Schrei lässt die Sterne erbeben: Chamundā ist geboren.
Chamundā stürzt sich in den Kampf. Keine Waffe, kein Mantra konnte die Dämonen zuvor besiegen – doch sie selbst ist die Waffe. Mit bloßen Händen zerreißt sie die Heere, mit ihrem Blick zerbricht sie Festungen. Chanda und Munda fliehen, doch es gibt kein Entkommen. Chamundā ergreift sie und vernichtet sie.
Wenn Sanftheit nicht mehr reicht , und das Weibliche unerbittlich wird
Die Geschichte erinnert uns daran, dass das Weibliche viele Gesichter hat: nährend und schützend, aber auch zerstörerisch, wenn es darum geht, das Dunkle und Maßlose zu vertreiben. Sie zeigt uns, dass manchmal Milde nicht ausreicht – dass es Situationen im Leben gibt, in denen wir unsere wilde, unerschrockene Seite hervorbringen müssen.
Chamundā ist ein Sinnbild dafür, dass auch in uns Kräfte ruhen, die wir vielleicht selten zeigen, die aber da sind, wenn wir sie brauchen: furchtbar, kraftvoll, und zugleich heilend.